Die beste Stillposition ist keine Technik: Warum du dich nicht verrenken musst
Du hast sie alle durch.
Den Wiegegriff. Den Rückengriff (Football-Haltung). Stillen im Liegen. Stillen im Vierfüsslerstand (ja, wirklich, über dem Baby kniend, während dir die Knie wehtun und du dich fühlst wie eine Kuh auf der Weide).
Du hast Kissen in deinen Rücken gestopft, unter deinen Arm, zwischen deine Beine. Du hast Nackenrollen gekauft und Stillhocker.
Und trotzdem: Die Schultern sind hochgezogen bis zu den Ohren. Der Nacken ist hart wie Beton. Und die Brust? Die Brust bleibt hart.
Du denkst: “Ich mache es falsch. Ich habe noch nicht die richtige Position gefunden.”
Aber ich sage dir etwas, das in keinem Stillbuch steht:
Es gibt keine magische Position, die einen Milchstau löst, wenn deine Seele verkrampft ist.
Der Irrtum mit der Mechanik
Wir behandeln das Stillen oft wie ein mechanisches Problem. “Wenn ich das Baby im 45-Grad-Winkel anlege und das Kinn genau auf die verhärtete Stelle zeigt, dann muss die Milch fliessen.”
Das ist Klempner-Logik. Rohr verstopft -> Winkel ändern -> Fluss frei.
Aber du bist kein Rohrsystem. Du bist ein lebendiges Wesen.
Deine Milchgänge sind von winzigen Muskeln umgeben. Diese Muskeln reagieren nicht auf Winkel. Sie reagieren auf Hormone.
Wenn du gestresst bist – weil du Schmerzen hast, weil du dich verrenkst, weil du Angst hast, etwas falsch zu machen – dann schüttet dein Körper Adrenalin aus. Adrenalin sagt den Muskeln: “Anspannen! Gefahr!”
Du kannst das Baby im perfektesten Winkel der Welt anlegen. Wenn deine inneren Muskeln “Gefahr” schreien, bleiben die Türen zu.
Die Position deines Nervensystems
Die wichtigste “Stillposition” ist nicht die Haltung deines Körpers. Es ist die Haltung deines Nervensystems.
Bist du im Modus “Kampf oder Flucht”? (Sympathikus) Oder bist du im Modus “Ruhen und Verdauen”? (Parasympathikus)
Nur im Ruhe-Modus kann Oxytocin fliessen. Und nur Oxytocin öffnet die Milchgänge.
Wenn du dich also in den Vierfüsslerstand zwingst, obwohl du dich dabei lächerlich und unwohl fühlst, erzeugst du Stress. Du arbeitest gegen deinen Körper, nicht mit ihm.
Was wirklich hilft: Gehalten werden
Stell dir vor, du müsstest das Baby nicht alleine halten. Stell dir vor, du müsstest nicht einmal dich selbst halten.
Stell dir vor, du sitzt auf dem Sofa. Aber hinter dir ist keine Lehne aus Stoff. Hinter dir ist ein Mensch. Ein starker Rücken, an den du dich lehnen kannst. Arme, die dich umschliessen – nicht einengend, sondern stützend.
Du spürst die Wärme eines anderen Körpers. Du spürst einen ruhigen Atem im Nacken. Du musst keine Muskeln anspannen, um aufrecht zu sitzen, weil er dich hält.
Deine Schultern sinken nach unten. Dein Kiefer lockert sich. Dein Bauch wird weich.
In dieser Position – der Position des “Gehaltenwerdens” – ist es fast egal, wie das Baby liegt. Weil dein Nervensystem das Signal bekommt: “Du bist sicher. Du kannst loslassen.”
Warum Technik allein versagt
Die ganzen Tipps zu Stillpositionen sind gut gemeint. Sie versuchen, die Schwerkraft zu nutzen. Das ist physikalisch sinnvoll.
Aber die Schwerkraft ist ein schwacher Helfer im Vergleich zur Biochemie.
Ein Gramm Oxytocin ist stärker als zehn Kilo Schwerkraft.
Wenn du dich sicher fühlst, wenn du dich geborgen fühlst, fliesst die Milch oft sogar gegen die Schwerkraft. Wenn du dich einsam und gestresst fühlst, hilft auch der beste Winkel nichts.
Die Einsamkeit der “richtigen Haltung”
Das Problem ist: Die meisten Mütter sind allein, wenn sie stillen. Niemand ist da, um sie zu stützen. Niemand richtet das Kissen. Niemand massiert den verspannten Nacken währenddessen.
Du bist allein mit der Verantwortung für die “richtige Haltung”. Das ist Arbeit. Und Arbeit ist Anspannung.
Deshalb funktionieren die Tipps oft nicht. Weil sie dir noch eine Aufgabe mehr geben (“Achte auf den Winkel!”), statt dir eine Aufgabe abzunehmen.
Eine neue Definition von “Position”
Vergiss für einen Moment die Lehrbücher.
Die beste Stillposition ist die, in der du dich am wenigsten allein fühlst.
Vielleicht ist das im Liegen, ganz nah an jemanden gekuschelt. Vielleicht ist das im Sitzen, angelehnt an eine starke Brust. Vielleicht ist das in der Badewanne, gehalten von warmem Wasser und warmen Händen.
Such nicht nach dem perfekten Winkel für das Baby. Such nach dem perfekten Halt für dich.
Wenn du entspannt bist, wenn du weich wirst, dann findet die Milch ihren Weg. Fast wie von selbst.
Und wenn niemand da ist zum Anlehnen?
Das ist der schmerzhafteste Punkt. Ich weiss. Viele Frauen lesen das und denken: “Ja, schön wär’s. Aber ich bin allein.”
Wenn du niemanden hast, der dich physisch hält, dann musst du dir diesen Halt anders holen. Bau dir ein Nest. Nicht nur ein Kissen – ein echtes Nest. Mach es dunkel. Mach es warm. Und erlaube dir, mental loszulassen.
Aber noch besser: Erlaube dir, Hilfe zu suchen. Es gibt Menschen, die verstehen, dass eine Mutter nicht nur ein Baby halten muss, sondern selbst gehalten werden muss.
Ich bin einer von ihnen.
Wenn du spürst, dass du vor lauter “richtigen Positionen” ganz steif geworden bist – innerlich und äusserlich – dann melde dich. Manchmal braucht es keine neue Technik. Manchmal braucht es nur einen Menschen, der dir den Rücken stärkt. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Lass uns herausfinden, wie du loslassen kannst. Nicht durch Verrenkungen. Sondern durch Vertrauen.
FAQ: Häufige Fragen zu Stillpositionen und Milchstau
Hilft der Vierfüsslerstand wirklich?
Physikalisch ja, weil die Schwerkraft hilft, die Milch Richtung Brustwarze zu ziehen. Aber psychisch ist er für viele Frauen stressig und unbequem. Wenn du dich dabei verkrampfst, hebt das Stresshormon den physikalischen Vorteil wieder auf. Mach es nur, wenn es sich für dich gut anfühlt.
Warum tut mir beim Stillen der Nacken so weh?
Weil du “hochziehst”. Stress lässt uns unbewusst die Schultern zu den Ohren ziehen (Schutzreflex). Wenn du dann noch auf das Baby hinabschaust und dich konzentrierst, verhärtet sich alles. Wärme im Nacken oder eine Massage während des Stillens kann Wunder wirken.
Muss das Kinn des Babys immer zur gestauten Stelle zeigen?
Das ist die Standard-Regel, weil der Unterkiefer am stärksten massiert. Es ist ein guter Tipp, aber kein Gesetz. Wichtiger ist, dass die Milch fliesst (Oxytocin). Wenn die “korrekte” Position dich stresst, wähle lieber eine bequeme.
Kann falsches Liegen Milchstau verursachen?
Ja, wenn du z.B. auf dem Bauch schläfst oder der BH nachts drückt (“mechanischer Stau”). Aber oft ist der “falsche” Druck nur der Auslöser, nicht die alleinige Ursache. Ein entspanntes Gewebe verzeiht Druck eher als ein gestresstes.
Was ist “Intuitive Breastfeeding”?
Das ist eine Haltung, bei der du halb zurückgelehnt liegst (Laid-Back Nursing) und das Baby auf dir liegt. Es nutzt die natürlichen Reflexe des Babys und erlaubt dir, dich voll zu entspannen. Für viele Frauen mit wiederkehrendem Stau ist das die beste Position, weil sie maximales Loslassen ermöglicht.
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